Der Titel des Beitrags kündigt es schon an: ehrlich, also kein Mainstreammedien-Märchen! Das Tagebuch schildert die Eindrücke eines Mannes in Donezk, Ostukraine. Die bewegende Geschichte macht klar, dass der Krieg lange vor dem 24. Februar 2022 begonnen hat. Kriegstreiber und Kriegs-Sympathisanten sollten sich seine Geschichte durchlesen. Vielleicht hören sie dann mit dem Rasseln der Säbel auf, die andere für sie führen, und Blut sinnlos damit vergießen. Menschen, die für Waffenlieferungen sind, sollten mit diesen Waffen in die Krisengebiete reisen, und die Tötungswerkzeuge auch selbst bedienen. Von der Couch aus lässt es sich leicht schreien! Frieden schaffen geht nur ohne Waffen, ihr Ewiggestrigen!
Klaus Burger ist ein kreativer, mir ruhig erscheinender Mensch, der nicht viel Aufhebens über die Dinge macht, die er erzählt. Er schildert sie gelassen, aber nicht emotionslos, auf keinen Fall hetzerisch, sondern einfach nur realistisch und aufrichtig. Wenn ihr euch einen Eindruck über diesen mutigen, in sich ruhenden Mann, der dem materiellen Denken den Rücken gekehrt hat, verschaffen möchtet, könnt ihr euch einmal diese beiden Videos reinziehen:
Nun zum Tagebuchausschnitt einer Maiwoche im Jahr 2016.
20.05.2016 17:07
Das hat alles ganz vortrefflich geklappt und ich werde gut aufgenommen, wir planen an schönen Dingen und ich bin sehr berührt von der Freundlichkeit und Offenheit der Menschen. Beste Grüße kb
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Diese Nachricht habe ich gestern schon geschrieben, war jedoch zu platt, um das Absenden zu überprüfen. Es ist sehr fruchtbar, das beginnt sehr innig und die Menschen sind begeistert. Anbei ein kurzes Interview von gestern,
http://novorossia.today/120115-2/
Gestern war ich im Kriegsmuseum in Donezk. neben den 2. WK-Exponaten
sind neue Abteilungen mit den Resten der Geschosse von letztem Jahr. eingerichtet….
Eine meiner hübschen und sehr freundlichen intelligenten Begleiterinnen hat dann im Museum zu weinen begonnen, mir erzählt von den verstümmelten Kindern, mit denen sie arbeitet, den Schmerzen, in den Seelen, Köpfen, Herzen. Das ist hier sehr gegenwärtig, der Tod… das Leben jedoch auch.
Untergebracht bin ich in einem neuen, bereits wieder herunterkommenden Hotel, welches nun ein Soldatenquartier ist und ich der einzige Nicht-Soldat.
Legion nennen die sich – alle Altersgruppen, jung überwiegt. Auch Frauen dabei… Man lud mich abends in eines dieser Quartiere, zehn Mann in einem Zimmer. Es gab zu rauchen und ich habe Musik gemacht. Ein dicklicher Mittvierziger, hochintelligent wirkender Mann liegt auf seinem Bett, die anderen erklären mir, der sei traumatisiert, er war vorher „gobernor“, irgendwie in der Administration gewesen, die Ukros hätten ihn wohl lange gefoltert. Ein frecher, vorlauter junger Tschetschene hat mich wegen meiner rosa Schlabberhose zuerst blöd anmachen wollen, bringt mir nun Tee, man kümmert sich sehr um meine Wohlfahrt. So viel Lebensbejahung wie hier, mitten in dieser Situation, kenne ich aus D nicht.“
Gestern war ich in der Musikschule. Es ist nicht einfach, nicht zu weinen vor Ergriffenheit, das darf ich mal so sagen.
Am Freitagnachmittag hatte ich den ersten Kennenlern-Termin in der oder in einer Musikschule. Die Direktorin stand bereits wartend auf der Straße.
Nach einer höflichen kurzen Begrüßung führte man meine charmante Natalija und mich in einen kleinen Konzertsaal, der mit etwa sechzig bis siebzig Menschen gut befüllt war. Dass nun, als wir saßen, die Direktorin anhub, mich auf Deutsch zu begrüßen, wobei ich sicher bin, dass sie das auswendig gelernt hat, war die erste Sensation. Die nächste folgte für mich,
als ich begriff, dass der ganze Aufwand hier einzig für mich betrieben
wurde. Eine Blaskapelle junger und ganz junger Menschen marschierte auf, etwa 25 Menschen, um mir ihr Wettbewerbsprogramm zu präsentieren.
Außerordentlich und bemerkenswert war, dass die Kinder auswendig und sehr diszipliniert und sauber gespielt haben. Das spricht für die Qualität des Leiters. Danach spielten fünf Lehrkräfte freundlich-virtuosen
New-Orleans-Jazz, auch hier hat mich die Qualität der Darbietung verwundert. Ich bin nicht zum ersten Male in russischsprachlichen Gefilden, deshalb war das recht überraschend. Mein anschließendes Didgeridoospiel hat den Anwesenden gut gefallen, der Applaus war groß.
http://novorossia.today/120280-2/
Ich habe in meinem Leben, wenn ich das addiere, mindestens drei Jahre in
Italien verbracht, weil ich am „teatro la fenice“ und in Torino im Radiosinfonieorchester spielte. In dieser Zeit habe ich mich natürlich an das unglaublich gute Essen dort gewöhnt und meine privaten Kochambitionen sind auf hohem Niveau. Was für ein „cut“: Nun sitze ich in Donezk und esse mit den Soldaten deren Essen aus dem Blechnapf.
Doch kann ich mich keinesfalls beschweren, dafür, dass hier Kriegszustand
ist, empfinde ich das geradezu als Luxus, dass ich überhaupt etwas bekomme und es ist simpel, das Essen, jedoch keinesfalls schlecht. Tauche ich auf, um mich hinten an der Warteschlange anzustellen, schieben die freundlichen Soldaten mich fast gewaltsam nach vorne, damit ich nicht zu warten brauche.
Meine Versuche, mich klein zu machen, werden rigoros unterbunden. Der
Koch stellt mir als Einzigem ein Kännchen Tee hin, der freche lustige Tschetschene fragt dabei Vokabeln ab. Es ist so viel Lachen und Freude bei diesen Menschen. Dann sitze ich da, schaue mir die an und denke mir, wer wohl nächstes Jahr noch leben wird. Dann wird mir kurz das Herz schwer, gleichzeitig weiß ich, dass die alle auch lieber Frieden hätten und dennoch genau wissen, wofür sie das auf sich nehmen. Diese Menschen mag man töten können, jedoch nicht unterjochen, das ist ganz klar und hart. An dieser Haltung werden sich noch Einige die Zähne ausbeißen können, hoffentlich jedoch wird Frieden einkehren. Die Disziplin der Soldaten ist sehr groß, nichts ist grob, roh oder besonders laut. Vermutlich würde im deutschen Fernsehen von einem zusammengewürfelten Haufen gesprochen werden, Banditen, Terroristen, Söldner. Doch es gibt nichts zu Trinken. Da fallen mir die Bundeswehrgeschichten vom Komasaufen ein….. wie sinn-entleert, wo soll da auch Motivation herkommen?
Foto: die Schuhe der Menschen, die hinter dieser Tür wohnen
22.05.2016 17:52
Heute vor dem Theater, wo ich eine Ballett-Vorstellung anschauen war, am
frühen Nachmittag, Sonntag Nachmittag, Sonnenschein vom Allerfeinsten.
Nun, das Ballett hat gut getanzt, dennoch ging mir die synthetisch produzierte und absolut viel zu laute play-back Musik nach einer halben Stunde so auf den Geist, dass ich um Fluchterlaubnis bat, welche mir dann auch gewährt wurde, ich glaube, die Natalija war auch froh darüber.
Dafür war dann im Sonnenschein ein gewisser Tumult, denn der stärkste
Mann der Welt brach dort gerade einen Weltrekord im Gewichte über eine
bestimmte Distanz zu schleppen. Süße Last: 22 quiekende Mädchen um die acht Jahre steckten in sechs großen Blechfässern und mittels gewaltigem Joch stapfte der Herr seinem Sieg entgegen.
Am freien Nachmittag habe ich Akazienblüten gesammelt, reichlich. Seit einigen Monaten habe ich ein angemeldetes Gewerbe nämlich: „Lyubov-Liebe“, das ist der Name meiner Blütensirupe. Ich mache Sirup aus Kirschblüten etc……. also jetzt ist Akaziensaison. Der Soldatenkoch gab mir die Gläser, den Zucker… und nun wird der Sirup in der Sonne auf dem Militärlaster seine Energie bekommen……ich muss jetzt los….
„….ziemlich lustig war die Situation, als ich den Soldaten in ihrem Zimmer
versucht habe, zu erklären, warum ich kein Fleisch esse und dennoch glaube, nicht irgendwie schwächlich geworden zu sein. Das ist ja alles ohne Dolmetscher und die reden dann durcheinander und nicht, wie von mir erbeten, „ochin medlenno“, sehr langsam. Es gelang mir, glaubhaft zu machen, dass die stärksten Tiere eben der Elefant, Nashorn, Nilpferd, Büffel sind und diese Gras essen würden, und, in Fahrt gekommen, habe ich ihnen eine komplett neue Sichtweise auf einen Aspekt gelenkt, nämlich, dass der Löwe eigentlich eine „arme Sau“ sei, er müsse seinem Essen hinterher rennen, um nicht zu verhungern, während die Kuh im Essen steht. Das gab eine Art von Aufschrei vor Begeisterung und Entsetzen gleichermaßen, denn so hat das noch keiner betrachtet. Das war sehr lustig, so ein Gelächter….
22.05.2016 21:12
„…und da ich so viel Zeit hier in dieser Unterkunft habe, kann ich auch viel konstatieren, was mir dort so auffällt:
Diese Menschen sind nicht laut, nicht rüpelig, bisher hat keiner in irgendeinem Gespräch, welche sie so führen, einen anderen beim Sprechen unterbrochen oder übertönt oder rumgeschrien. Eine dermaßen auffällige Höflichkeit würde ich mir oft in meinem Leben gewünscht haben, besonders in Deutschland und Italien. Keinerlei aggressive Töne, man lebt sehr eng zusammen.
Nach dem Essen bedanken sich alle beim Koch, wenn sie den
Speiseraum verlassen. Fast alle geben mir immer die Hand, wenn wir uns
begegnen. Es sind auch welche dabei, die Schlimmes erlebt haben müssen.
Ein ganz Junger, noch spätpubertierend, kaum 18, blickt immer auf den Boden…….“
23.05.2016 17:31
Ich war also heute in der Philharmonie und habe versucht, vorzutragen, was wir machen könnten. Die entscheidende Stelle dafür ist der Dirigent des Orchesters. Und den werde ich morgen nach der Probe treffen. Ich hoffe, dass er sich die Zeit nimmt, um die Partituren anzusehen und mir zuzuhören… wir werden sehen…
Als ich mit meiner wunderbaren Natalija dann rauskam aus der Philharmonie, entdeckte ich ein winziges uraltes Mütterchen mit einer Tüte in der Hand vor einem großen Müllcontainer stehend. Absichtsvoll verlangsamte ich den Gang, weil ich sehen wollte, warum sie sich so anstellt, ihren Müll da reinzuwerfen. Doch es war genau anders: diese gebeugte, fast durchsichtig wirkende Frau hat nichts zum Reinwerfen dabei gehabt, sondern, als ich Natalija fragte, ob die da jetzt tatsächlich nach Essbarem suchen würde, das bejaht wurde…. ich ging auf die uralte Frau zu, sagte „Babuschka, hallelujah!“ und drückte ihr, die sich erstaunt umdrehte, einen lächerlichen 50-Rubelschein in die Hand, hatte kein Geld mehr ansonsten. Ich blickte in wunderbare, blaue, erstaunte Augen, drehte mich sofort um, um kein Gespräch zu beginnen. „Gott segne dich und ich wünsche dir Gesundheit“ rief das Mütterchen mir nach, Natalija übersetze es mir, obwohl das schon klar war. Ich ging weiter neben Natalija her, die leise weinend den Blickkontakt zu mir vermied und ich, leise weinend, wollte auch nicht, dass das nun ein Rührstück wird, weshalb wir unseren Weg stumm fortsetzten.
Die allgemeine Bedrückung und Trauer, die über der Stadt liegt, ist nicht zu ignorieren, gleichwohl sind die Menschen, die ich treffe, sich ihrer Sache, nämlich eine neue Republik aufzubauen, sicher und hierin wirken sie unbeirrt. Mich erstaunt in diesem Zusammenhang, dass man „die Ukrainer“ nicht pauschal verdammt…
Heute wurde ich nach etwa zwei-stündigem Warten am Straßenrand vor
meiner Unterkunft dann doch noch abgeholt… der Grund für diese Verzögerung lag daran, dass die Ukros in ein Dorf geschossen haben, Schaden anrichteten und Leute verletzten, weshalb mein Fahrer erst später kam, da gibt es dann Prioritäten in der Agenda. Diejenigen, welche ich gefragt habe, ob die Donezker dann zurückschießen würden, sagten alle Nein, das seien Provokationen, die genau dazu dienen sollen, dass man zurückschösse, und das will man nicht, der Wille zum Frieden sei zu groß, als dass man wegen solcher Aktionen die Gesamtlage verschlechtern würde……
Dann machten wir am Nachmittag einen Ausflug. Alles hier duftet von den Akazienblüten überall und die ersten Wildrosen mischen sich da hinein. Ein schöner Tag, Sonnenschein, blauer Himmel und wir fahren am Bahnhof vorbei aus der Stadt raus. Dann hat mich allerdings recht schnell ein großen Grauen am Hals gepackt, regelrecht gewürgt hat es mich: Einen Vorort, in dem vor dem Krieg 28 000 Menschen wohnten, eher Oberklasse, wenn man die Häuser und Gärten ansieht, verkehrsgünstig zwischen Bahnhof und Flugplatz gelegen, durchfahren wir….
hier sind sehr viele Menschen gestorben, da stecken zum Teil noch die Raketenblindgänger in der Straße, entsetzlich, diese Zerstörungen. Zwischen den Ruinen ab und zu ein vereinzelter Mensch, der Garten- oder Ackerfläche bearbeitet, siebartig durchlöcherte Gartenmauern und Zäune…..
Mutter Natur hingegen hat das ganz gut verkraftet, es blühen mitten in der
Apokalypse am Flughafen die Tulpen, alles ist grün, bunt, blühend, nur die
grauschwarzen Ruinen dazwischen…
Man schärft mir ein, keine Soldaten zu fotografieren, denn das könnte
Familienangehörige auf der anderen Seite der Frontlinie in größte Schwierigkeiten bringen, was hier eben kein teurer Strafzettel, sondern Folter und Tod heißt.
18:30
So sieht zum Beispiel die Facebook-Seite eines Berufsmusikers, eines Posaunisten von Donezk aus, Hab und Gut verbrannt und gesprengt.
Danach besuchte ich eine weitere Musikschule, hier waren die Schüler deutlich älter, das war eher wie Vorbereitung auf Musikstudium. Es gab ein Konzert, ich hörte mir das an. Der Musikschulleiter, ebenfalls ein Posaunist, sprach gut Englisch. Ich erklärte mein Vorhaben, mit seiner Schule an einem Projekt zu arbeiten und wir werden das ab dem Herbst dann tun, das heißt, ich werde öfters mal anreisen und mit denen ein von mir erarbeitetes Konzept oder eine Komposition einstudieren und im nächsten Frühjahr dann ein Konzert machen.
Nach der Aufführung stellte man mich dem Orchester vor, ich fragte, ob sie denn mit einem Verrückten wir mir Lust hätten zu arbeiten. Sie wollen, alle strahlten und freuten sich, ein Mädchen, Flöterin, jung, hübsch, vielleicht 16 oder 17, hebt den Finger, meldet sich, um mich etwas zu fragen. Ob ich denn keine Angst hätte, wenn ich als Deutscher bei dem „Feind“ Kulturprojekte machen würde… was für eine Scheißwelt, manchmal…. Sollte ich nun, rein theoretisch, jemanden von hier nach Baden-Baden einladen wollen, das würde einfach nicht gehen, weil das hiesige Staatsgebilde nirgendwo anerkannt ist. Das schmerzt die Menschen hier sehr, das fühlt man.
21:25
Einen Fortschritt in meinem Kommunikationsvermögen stelle ich fest. Und je widerstandsfähiger ich mich im Ignorieren von Englischwortfetzen, die mancher hier weiß, verhalte und konsequent bayerisch mit immer mehr russisch drin spreche, ist wieder Redefluss möglich, es staut sich weniger…Die Qualität der Grundnahrungsmittel ist äonenhaft über der von Mitteleuropa, halt nicht so schön anzusehen.
Abends bin ich wieder in dem Zehnerzimmer. Ich habe ein Instrument dabei, mit allerzauberhaftestem Klang, Sansula. Metallzungen mit den Fingerspitzen gespielt, der Klang wird durch eine Fellmembran drunter schön klar und deutlich…sehr ätherisch…. da sitze ich nun abends auf einem Stockbett, bullige, tätowierte Typen die meisten, jedoch auch junge, sitzen mit feuchten Augen, an den Wänden Maschinenpistolen angelehnt – seit der Beerdigung von Hermann Naber, der der Chef der Hörspielabteilung des SWR über Jahrzehnte war, auf der ich die Ehre hatte, mit der Sansula zu spielen, war das nie mehr so innig, innenraumöffnend, wie jetzt gerade…….. ich fliege
über meine sinfonische Vergangenheit, Dreizehntel/Septolen mit Sechsteltönen,…… sitze wieder hier auf dem Bett und die Friedlichkeit dieses Momentes allein war für mich persönlich, egal, was kommen mag, die Reise wert.
Dann erzählt mir einer der bulligeren Typen, vielleicht knapp vierzig Jahre alt, er kratzt an der Schweißnaht des Stockbettes, bis ich endlich verstehe, dass er Schweißer sei, bis vor ziemlich genau zwei Jahren sei er Schweißer gewesen. Er hat zwei Kinder und eine Frau, und dann hat sich das Leben so verändert, dass er nun eben hier sei. „Das ist mein Leben“, sagt er, die anderen auch oder sie nicken. Es gibt keinerlei Idee von einer Zukunft, keiner hat eine Ahnung, was kommt oder noch passieren wird. Als Grund nennt mir der Bullige Dinge, von denen ich froh wäre, wenn ich sie noch wesentlich schlechter verstanden hätte, doch von erschossenen Frauen und Kindern…..
You’r welcome! We visited village Octyabrskiy, destroyed Stratonavtov Street (the most destroyed), holly Iverskiy monaster)
…ich habe nachgefragt, die haben tatsächlich auch schwangere Frauen abgeknallt, das war das, was ich gestern hoffte, missverstanden zu haben.
Missverstanden habe ich ebenfalls, dass ich heute ein Konzert machen werde, es war vielmehr ein Konzert, in welches ich eingeladen war. Diese typischen Ostblockkulturzentren, die alle irgendwie gleich aussehen und über das ganze Land verteilt sind. Es war das erste Konzert nach Ausbruch des Krieges vor ziemlich genau vor zwei Jahren. Am 26. Mai 2014 wurde Poroschenko Präsident und zwei Tage später begann hier der Krieg.
25.05.2016 18:55
Das war jetzt natürlich Amateurniveau, gleichwohl zauberhaft. Ballettgruppen, Sänger, Balalaika und Gitarrenspieler, ein Sketch über den Smartphone-Wahnsinn mit freundlicher Ermahnung, vor lauter Internetgestocher die Familie nicht zu vergessen. Glücklich sind die Menschen in diesem Vorort von Donezk vor allem, dass keine Geschosse mehr einschlagen und Menschen töten. Das ist allerdings erst seit zwei Monaten der Fall. An dem hinteren Bühnenvorhang ist eine Art Friedenstauben-Schwarm hingemalt. Drunter und drüber sind auf Tafeln mit den Wünschen der Menschen angebracht, die Schlüsselworte für ein kommendes besseres Leben. Soweit ich das verstanden habe, stand da angeschrieben: Hoffnung, Frieden, Familie, Kinder, Musik, Respekt, Liebe…
25.05.2016 19:24 Klaus Burger
Anschließend fuhr ich mit einer Kulturfrau und weiteren Menschen zu einem anderen Kulturzentrum, nicht weit weg vom ersten. Hier ist kein Betrieb mehr möglich.
Man hat in der Zwischenzeit die eingestürzten Dachteile erneuert, doch es gibt einfach viel zu wenig finanzielle Zuwendungen, um es wieder herzurichten. Im Eingangsbereich hängen aus der früheren Zeit noch Fotos, von den Orten, wohin die gereist sind, die hier ihre Projekte realisiert haben, Paris, Rom, und Bochum auch. Bochum ist oder war die Partnerstadt von Donezk. Doch hat man seit Ausbruch des Krieges nichts mehr aus Bochum gehört.
….“tja..“, sagt der Direktor dieses vorher für 1000 Nutzer konzipierten Kulturzentrums, „..wir sind jetzt die Terroristen“ Er bittet mich, ob ich denn etwas ausrichten könne, man habe schöne Sachen mit Bochum gemacht. Was soll ich denn ausrichten können? Ich habe in Baden-Baden dasselbe Problem mit der Partnerstadt Jalta, die überhaupt zu erwähnen seit zwei Jahren den Verdacht aufkeimen lässt, man sei Teil einer terroristischen Vereinigung, das ist irgendwie im öffentlichen Raum so justiert, dass es quasi unanständig ist…
Es ging eine Vielzahl von Geschossen nieder, die mit Stahlnadeln, ähnlich
wie Dartpfeilen, gefüllt sind. Diese etwa 5 oder sechs Zentimeter langen
Stahlnadeln zerfetzen natürlich alles Menschenfleisch in größerem Umkreis beim Explodieren. Man sagt mir, es seien etwa 50.000 solcher Dinger eingeschlagen. Am Anfang, erzählt man mir, sei der Widerstand gegen die Ukros noch gewaltfrei gewesen, man habe Straßenblockaden veranstaltet. Doch die Blockierer wurden verschleppt und keiner hat sie je wieder gesehen. Dann eskalierte das sehr schnell. 250 Menschen sind in diesem Dorf umgekommen.
Die freundliche Oma meinte, es wäre zwar immer noch schwierig, doch man hätte wieder Strom, das Wasser sei miserabel, doch es schlagen keine Granaten mehr ein.
26.05.2016 15:20
Heute waren wir wieder In Oktrjabritzkiy, dem sehr beschädigten Ort, von
welchem die Fotos von vorgestern stammten. Um zehn Uhr heute Morgen wurde dort ein Denkmal für die im Krieg umgebrachten Menschen dieses Ortes eingeweiht, zum zweiten Jahrestag der Präsidentschaft von Poroschenko. Es waren vielleicht dreitausend Menschen gekommen.
Weshalb man von „prorussisch“ spricht, kann ich nicht verstehen, denn die Menschen sind Russen, durch das Ende vom ersten Weltkrieg, die Revolution Lenins und Trotzkis der Ukraine zugeschlagen worden.
Nicht wenige Menschen sind zusammengebrochen und wurden weggetragen oder weggeführt, ich habe noch nie so viele Menschen auf einem Platz weinen sehen, ob Omas, Polizisten, Soldaten, Kinder, ich stehe dazwischen, denke über die offizielle Position nach, die mein Heimatland in dieser Angelegenheit eingenommen hat….. Terroristen, Separatisten, Kriminelle..
Auf den Fahnen stehen „Wahrheit“ und „Frieden“……. während der Enthüllung des Denkmals steigen weiße Tauben auf, man hört die Kanonen der Ukros wummern, vielleicht, ich habe es nicht gezählt, dreißig bis vierzig Explosionen binnen zwanzig Minuten. Die „Terroristen“ jedoch antworten wieder nicht. Es hat mir fast das Herz zerrissen. Die Opfer sind Musiklehrer, Lehrer, Schulkinder, normale Menschen gewesen, 250 in diesem Ort. Sie haben lange in den Kellern hausen müssen, bevor dieser Horror beendet war, ich habe auch geweint, schäme mich nicht.
nochmals eine Gartentür….
26.05.2016 15:35
nächstes Jahr zum dritten Jahrestag werde ich mit einem Blasorchester dort
Musik machen, etwas komponieren.
26.05.2016 15:46
Später waren wir an der Oper, ich hatte ein schönes Gespräch mit dem Dirigenten, der sich über eine Kooperation freuen würde. Ich habe mein Anliegen vorgebracht und sie hören sich meine Sachen an und wir stehen in Kontakt.
Die Donezker Oper war sehr oft zu Gastspielen in Deutschland, man
wird in Schweinfurt, Aschaffenburg, ich habe vergessen, wo noch, sich an
diese freundlichen Menschen vielleicht noch erinnern. Traurig ist man, dass es keinen Kontakt mehr gibt, sehr traurig. Hoffentlich kommen andere Zeiten.
Ich fahre heute Nacht mit meinem „Gentledriver“ Nicolai, dem höflichsten Autofahrer, den ich je erlebte, zurück nach Russland und morgen Abend, wenn alles gutgeht, bin ich wieder zurück. Ich werde, wenn es geht, so haben wir ausgemacht, Ende September/Anfang Oktober wiederkommen. Und wenn ich darf, möchte ich wieder da wohnen, wo ich jetzt gewesen bin, den höflichsten und freundlichsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann.
Vielen Dank, ihr lieben Menschen, auf Wiedersehen in Frieden.
sbasibo bolschoij!!!!!! dosvedanje
26.05.2016 18:55
Noch ist Zeit, gepackt habe ich, mich von fast allen Menschen hier verabschiedet, umarmt , „spasiba za gostiprijimstvo!“ danke für die Gastfreundschaft.
Bin gespannt auf die Rückfahrt, barfüßiger, vermeintlich Althippie, aus
Deutschland an der Grenze von Novorussia nach Russland rein. Das Ambiente hat was an der Grenze. Das ist anders als in Deutschland …. mein Fahrer, der wunderbare Nikolai, Namensbruder allemal, hat zwei Kinder, Frau, er ist der Fahrer der Institution (Presse, Fernsehen, Nachrichten etc….wie Bayern oder SWR). Im Kofferraum sind immer Schutzwesten, sollte irgendwo Ungemach geschehen.
„Our terrorists!“ ist seine Standartfloskel, irgendwie zärtlich und bitter, wenn wir an Straßenreparaturen vorbeifahren. Viele erzählen mir, dass die Straßen- und Bauarbeiter der Kommune Donezk wie Helden gerühmt werden, weil sie trotz dieses Beschusses, auch mit den oben beschriebenen Stahlnadeln etc. die Straßen immer instand hielten, Tag und Nacht…. kaum vorstellbar… doch es wird mir von etlichen berichtet. Auch die Feuerwehren und Sanitäter.
Auch von Zap, höre ich das…. Amerikaner. Der ist eine Art Berühmtheit,
Nichtraucher, Vegetarier und Pressemann…. immer vorne dabei. Er war
mal GI, Amisoldat und hat wohl einiges in Jugoslawien mitgemacht. Er lebte in New York, keine Dumpfbacke…. es wurde für ihn in Amerika unangenehm, als sein Gewissen und die veränderte Lebenseinstellung ihm den Mainstream zu verlassen befahlen. Er wollte oder musste da weg, für ihn ist die Nato eine terroristische Vereinigung, so postet er. Gerade hat es geklopft.
Der Chef bringt mir ein Glas mit russisch konserviertem Obst… Händeschütteln… umarmen… wenn alles gut geht, bin ich in etwa 25 Stunden daheim. Na gut.. ich kann dem Universum nur dankbar sein, dass ich so was tun darf.
06:48
ich bin nach 26 Stunden Reise gut daheim angekommen. Gerne werde ich
mit Ihnen telefonieren oder skypen, wenn wir einen Termin ausmachen.
Da im Sommer alle Institutionen geschlossen sind, wird meine nächste Reise in den Donbass erst Ende September/Anfang Oktober sein, dann jedoch regelmäßig.
Ich muss völlig, für mich neue, Wege gehen und alles selber organisieren, das haben bisher andere für mich gemacht, zum Beispiel einfach sagen, dann und dann ist dieses oder jenes.. eine Herausforderung an mich……
An den doppelten Fotos sehen Sie schon, dass irgendetwas mit facebook
„unrund lief“ denn dort konnte ich immer nur leere Nachrichten von mir sehen und ich habe kräftig geflucht beim posten. Allerdings sind wirklich berührende Bilder dabei … finde ich… gute Grüße aus dem vollgefressenen Baden-Baden
kb
Ein kleiner Nachtrag vom Bloginhaber
Klaus Burger beschreibt sehr einfühlsam die Menschen im Raum Donezk in der Ostukraine, die von der Presse und Politik zum Teil als „Unmenschen“ und Terroristen diskreditiert, diffamiert und etikettiert werden. 15.000 von ihnen sind seit dem von den USA 2014 inszenierten Maidan-Putsch ums Leben gekommen. Sie wurden von dem Regime getötet, das von den USA ins Amt gehoben wurde. Ich bin kein Putin-Versteher, aber noch weniger ein Nato-Versteher. Der Hauptschuldige an diesem seit 2014 währenden Konflikt sind in meinen Augen die USA.
Noch ein Anliegen, werte Leserinnen, werte Leser,
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